Sonntag, 23. Februar 2014

Nachdenken über Eros

Das Problem ist immer der Anfang.
Wie beginne ich ein posting, das in der Quintessenz aussagen soll, worüber ich viele Stunden und Tage und noch länger nachdenke und seinen Ursprung in meinem komplizierten, vernetzten Denken hat.
Ich denke über vieles nach und mir begegnet vieles, ob im Internet oder "draußen" ist gleichgültig. Und alle Themen bringe ich stets in einen Zusammenhang.
Wir leben in einer komplizierten Welt. Einer Welt voller Trennungen der Bereiche. Arbeit ist etwas anderes als Freizeit, Freundschaft etwas anderes als Liebe, das Zuhause ist getrennt von der Umgebung durch Mauern, die Politik und die Gesellschaft sind etwas anderes als eine Religion oder die Wissenschaft.
Und oft genug glauben wir das unsere Entscheidungen in den jeweiligen Bereichen unterschiedlichen Mustern folgt. Und vor allem logischen.
In der Antike sah das etwas anders aus. Der Einzelne ging in der Familie auf, die in der größeren Gesellschaft aufging und alles was dort stattfand war durchdrungen von was wir religiöse Riten nennen und überall wurden göttliche oder daimonische(1) Kräfte erkannt. Und dem ganzen lag eine Kraft zugrunde.
Eros.



Es ist schwer für uns nachzuvollziehen wie die Erlebniswelt eines früheren Griechen war und für uns zugänglich sind allein die Überlieferungen derer die nicht unbedingt dem Durchschnitts Hellennen entsprachen. Aber es muß genügen und es ist ja durchaus möglich selbst heute dann nachvollziehen zu können, was ein Dichter und Philosoph meinte, wenn er von Eros sprach.
Die alten Griechen hatten unterschiedlichere Vorstellungen von Liebe als wie es uns heute leider geläufig ist. Und sie sangen auch Loblieder auf der kameradschaftliche Liebe zwischen Männern (noch heute in den ansonsten homophoben orientalischen Ländern zu sehen und durchaus zu bewundern wie sie das leben ohne wie bei uns "Toleranten" Homosexualität zu sehen wo keine ist), nahmen Liebe zwischen Frauen als so normal an, das Zeus sich oft genug in eine Frau verwandelte um dieser nah zu sein, und sahen ganz selbstverständlich in Philosophie, Dichtung und Mystik, aber auch Wissenschaft (unsere Trennungen!) die Liebe an Geistiges wirken. Diese Liebe war etwas reales, nichts konzeptuelles und illusionäres.
(siehe auch greek words for love und Eros (Philosophie))


Heute denken wir bei Eros oft an die Liebe zwischen zwei Menschen und zwar fast ausschließlich in einer sexuellen Art und Weise. Asexuelle Zuneigungen stehen fast ausschließlich nur Kindern zu, kuscheln ohne diese Unterstellung zwischen Erwachsenen geschieht so gut wie nie, was zu seltsamen Auswüchsen führen kann (z.B. esoterische Kuschelgruppen als Heilmittel per se incl. Büchern und Seminaren!!!).
Stattdessen hat unsere Gesellschaft eine äußerst krasse Sexualisierung erfahren: überall wird das gesehen und ausgenutzt, v.a. in der Werbung. Freud hätte seine helle Freude heutzutage.
Hinzu kommen Traumata die viele Heranwachsende erleben müssen, was dazu führt das diese nicht mehr in der Lage sind allein ihre Gefühle unterscheiden zu könne, ob sie Zuneigung zu jemanden genießen oder ihn oder sie sexuell begehren. In der Psychologie ist das eine der Ursachen für Sexsucht, aber auch andere Suchterkrankungen. Das eigentliche Grundbedürfnis wird nicht gestillt, nur betäubt.
In diesem Sinne sind wir eine durch und durch kranke Gesellschaft, denn Süchte sind überall zu finden und werden noch von Werbung und Industrie gefördert. Vor allem die Gier nach Geld veranlasst das größte Leiden und verstärkt es bis in die untersten und kleinsten Ebenen unserer Welt.
Dem gegenüber steht die Religion, v.a. unsere Kirche und hier da ein bißchen Wissenschaft, die Untersuchungen zeigt, wie welche Lebensart wieder mehr Krankheit und Leiden bringt, wie zu viel arbeiten wegen mehr Geld, einen langsam aber sicher umbringt und die Pharmaindustrie lockt mit dem universalen Suchtmittel, der Pille gegen die Leiden.
Das Leiden steigt und wie so manche Nation kollektiv mehr leidet als andere wachsen wie Pilze aus dem Boden Heilsversprecher, Nationalisten die mal mehr mal weniger bedrohlich sind und Haßprediger, die einen auf eine ultimative Lösung einschwören.

Warum ich das alles hier aufzähle? Naja hier wirkt überall Eros als die erste Ursache.

Nun muß ich hier wirklich ganz an den Anfang.
Es gibt keinen Schöpfergott bei den alten Griechen. Aber es gibt eine Ursache. Der Unterschied ist fundamental, und wer leichtfertig "Gott" mit Liebe gleichsetzt und meint es sei das gleiche wie Eros irrt gewaltig.
Aus der Leere (Khaos) entsteigt als erstes Gaia, die Erde, eine Urpotenz die heute oft als die Prima Materia interpretiert wird, die Grundlage aller Materie im Universum. Im hesiodischen Sinne ist dies jedoch unsere Mutter Erde, denn das folgende würde sonst keinen Sinn machen.
Zusammen mit Gaia entstand Eros, Erebos(Finsternis) und die Nacht(Nyx).
Eros ist der schönste unter den unsterblichen Göttern, der gliederlösende. Von allen Göttern und Menschen bewzingt er in der Brust den Sinn und den klugen Ratschluß(V.120-123).
Es ist Eros, der Gaia dazu bringt Uranos, den Sternenhimmel, hervorzubringen, auf das er sie ganz umhülle(126).
Brauchen tat sie ihn nicht, denn ohne ihn gebar sie bereits Pontos, das Meer, die Berge und viele andere Naturphänomene.
Die Formulierung ist kein Zufall, sondern drückt die erste ultimative Sehnsucht der Göttin aus. Sich ganz und völlig einem oder etwas hinzugeben oder darin aufzugehen ist die erste Sehnsucht überhaupt und dem liegt der erste Trieb überhaupt zugrunde. Und dieser Trieb drückt sich auf zahlreichen Ebenen aus.
Zahlreiche Obsessionen, erwünschte wie die der Forscher und Wissenschaftler und unerwünschte ebenso, Begeisterung für etwas und Besessenheiten, Gruppendynamiken und Sektenstrukturen, und schließlich die zahlreichen Formen der Liebe bis hin zu den zahlreichen spirituellen Traditionen die es gibt (oh grade da...), haben nur eine Ursache und eine Kraft die allem zugrunde liegt. Eben Eros.
Und Eros zieht sich entsprechend durch die gesamte Mythologie der alten Griechen, oder besser seine Kraft. (siehe auch Artikel auf theoi.com)

Gut und schön bis hierher, was soll der Leser jetzt hiermit anfangen? Nette Worte auf einem Bildschirm.
Die Sache ist die, das ich um Verständnis ringe. Es wird zu viel zu schnell auf andere gezeigt und kopfschüttelnd über Fanatismus der unterschiedlichsten Formen geurteilt, obwohl jede Nation, und jeder Mensch dies sicher auf die ein oder andere Wesie erlebt hat. Was bringt einen dazu, seine Persönlichkeit umbauen zu lassen oder sich überhaupt beeinflussen zu lassen um einer Gruppe anzugehören, die alles andere als nutzbringend sondern schädlich ist. Wieso rennt da einer einem Guru nach. Wieso verennen sich manche in kranken Beziehungen, wieso sind Traditionen selbst wenn sie leidbringend sind so bindend...ich könnt da immer weiter aufzählen.
Letztlich sind dies alles nur Äußerlichkeiten, fußend auf Bedürfnissen und einem Trieb, der älter ist als die Götter. Sich davon zu trennen, von dieser Idee eins zu sein mit der Welt führt zu den schrecklichsten Ausformungen, die es da gibt.
Das Schreckliche an der Sache ist das Eros nicht vereint, nein!
Er weckt die Sehnsucht danach und fordert damit gleichzeitig die Trennung hervor.
Auch diese ist elementar und liegt am Anfang der (hesiodischen) Welt. Uranos war so voller Verlangen, das er immer weiter und weiter zur Erde hernieder kam ungeachtet dessen, was seine Liebe für Folgen hatte. Die Titanen, die ersten großen göttlichen Kinder, konnten das Innere der Erde nicht verlassen und Gaia empfand hierdurch nur immer mehr Schmerz. Und Uranos fing an Gefallen daran zu finden.
Schließlich brachte sie den Stahl hervor, formte daraus eine Sichel und gab sie ihrem Jüngsten, Kronos, der seinem Vater auflauerte und diesen entmannte.
Seit diesem Zeitpunkt bleibt der Himmel der Erde fern, eine Vereinigung ist nicht mehr möglich. Die Sehnsucht der Erde wird bleiben und der ambivalente Charakter der Gaia in der Mythologie, mag hier ihren Ursprung haben(sie ist mal freundlich mal feindlich Menschen und Göttern gesinnt, und das reichlich unberechenbar).

Das hat Folgen. Auch andere. Denn das Gemächt des Kronos fällt ins Meer und aus ihm erwächst Aphrodite, heute zu oft als oberflächliche Göttin der Liebe gesehen, die jedoch damals eine Göttin ist, die in sich diese Ambivalenz vereinigt: sie ist verehrt, ersehnt und gefürchtet. Die Athener nannten sie die erste Moira, eine Bezeichnung die den Schicksalsschwestern zu eigen ist, und kaum war sie auf der Erde, folgte ihr Eros und Peitho, die Überredung.
Aphrodite nun wirkt auch reichlich schicksalhaft. Während Eros die ursächliche Kraft ist, kommt hier die Fähigkeit hinzu aktiv in der Welt zu wirken mit dieser Kraft. Und das nicht nur zum Guten.

Aphrodite ist in sich ein unglaubliches Thema. Die alten Griechen hatten zu recht auch Angst vor ihr und wir haben es auch, wenn wir ehrlich sind. Das aufgehen in einem anderen oder zu etwas dazuzugehören, wird ergänzt durch Besitzergreifen, Begierde und dem Wunsch nach Kontrolle, und das kann und wirkt oft selbstzerstörend. Dem Wirken der Aphrodite werden Kriege und Vergewaltigungen zugeschrieben, denn die romantische Liebe ist nur ein Aspekt unter zahlreichen von ihr.
Um ausführlich über Aphrodite zu schreiben ist jetzt hier kein Platz mehr. Führt auch zu weit, denn das ist nicht Zweck dieses postings. (kleiner Einblick in Aphrodites Wesen ist hier)

Bis hierher muß genügen das ich versucht habe das Blickfeld einerseits zu erweitern und andererseits zu versuchen aufzuzeigen, das selbst die hochgelobtesten Errungenschaften und tugendhaftesten Bestrebungen nur ein Ziel letztlich haben, oder besser, eine Sehnsucht.
Auch hilft es wenn man erst versucht Eros zu verstehen, bevor man versucht die zahlreichen Mysterien und unterschiedlichen Wirkungsweisen der Gottheiten zu verstehen. So kompliziert ist es nämlich nicht, zu erfassen was damals so wichtig für die alten Griechen dieser Schulen war. Auch hier sind die zahllosen Formen nur Äußerlichkeiten, wenn auch endlos spannend.

Die Kraft des Eros war und ist nicht nur der Aphrodite zu eigen. Hesiod beschrieb ihr Wesen dem Umstand ihrer Geburt zu. Zahlreiche Gottheiten verstehen es sich der Kraft des Eros zu wehren oder zumindest zu lenken, wie es Hera vermag oder auch Dionysos, der diese Kraft nutzt um seine Anhänger entweder von dieser Welt zu befreien oder mit Wahnsinn zu schlagen. Auch Persephone, die von den Orphikern "einzige Sehnsucht" genannt wird, verkörpert eine Form des Eros, die den Mysten Einsicht und Erleuchtung schenken kann, aber auch das Drama aufzeigt, das sich keiner dem Wirken des Eros zu entziehen vermag und wenn es jemand versucht, fordert das nur noch mehr Selbstzerstörung heraus.
Bei Persephone und Dionysos wird Eros zur Ekstase, die dem Praktizierenden das Erleben schenkt, eins zu sein mit dem Göttlichen, sprich mit allem. In den eleusischen Mysterien wird er Iachos genannt, der niemand anderer ist als Dionysos oder besser, sein Geschenk.
Diverse religiöse Traditionen versuchen Eros zu überwinden, andere dagegen zeigen auf das nach Reinigung und Disziplin die reine Form erfahren werden kann, was wieder nichts anderes ist als dieses Gefühl des Eins Seins. Auch hier hatten die alten Griechen ihre Tradition: in Apollon der beides zu lehren vermochte.

Denn das Hauptproblem des Eros ist ja, das wir oft nicht wissen wonach wir uns sehnen. Er weckt nur die Sehnsucht. Daher gab und gibt es diese vielen Traditionen und Wege, die Antworten haben oder es vorgeben zu haben. Was ja wieder das Problem ist. Vor allem heute.
Und nichts ist schlimmer als das Gefühl des Getrennt Seins. Dieses Gefühl letztlich in seiner ganzen Tiefe zu erfassen ist verheerend. Ich glaube das es das ist wo viele Heilige einst durch sind um dann das eigentliche zu finden, wo sie oder er hingehören. Ich glaube das es auch das ist, was jemanden in den Selbstmord treiben kann, wenn er oder sie sich nicht mehr abzulenken weiß und keine Droge der Welt es schafft und keine Verbindung mit einem Menschen da ist, diesen Schmerz zu lindern.
Denn letztlich geht es in einem normalen Leben nur um das: der Schmerz geht mal vergessen, oder wird weniger, aber er ist nie wirklich weg und die nächste Trennung wartet schon. Es kann was banales sein oder etwas verzehrendes sei, das zu verlieren wollen wir mit aller Kraft verhindern und tun womöglich nur die Trennung beschleunigen oder wir finden was wir suchen und es vernichtet einen. Oder wir finden tatsächlich Glück, in welcher Form auch immer, und sind angekommen. Daheim, dem absoluten Zuhause, das nicht zerstört werden kann. Die äußere Form kann dann vieles sein.

Es ist diese alte Weisheit, die ich in den alten Geschichten so inspirierend finde. In den Bildern, die durch die zahlreichen Erzählungen geformt werden, zeigt sich wie sehr die entsprechenden Gelehrten bewußt waren über die Ambivalenz dieser Welt, in der das was Glück verheißt gleichzeitig Leiden verursacht und wie man das überwinden kann. Dennoch wurde nichts weniger bedeutsam geredet. Patritiotismus, Philosophie, Religion, die Liebe daheim...und die auf der Strasse: das alles wurde Aphrodite und Eros zugeschrieben und von diesen völlig unbeherrscht zeigen sich bei Hesiod eigentlich nur zwei Göttinnen:
Athena und Hestia.


Und das hat seine Gründe, auf die der Leser vielleicht selbst kommt. Hoffe ich, denn da es schwer in wenige Worte zu fassen ist, unterlasse ich es jetzt auch hierbei.

Zum Schluß zwei kleine Exkurse:

1. Die Kastration des Uranos hatte auch zur Folge, das einige Blutstropfen auf der Erde landeten, aus denen die Eschennymphen entstanden: den mythologischen Vorfahren unseres heutigen Menschengeschlechts. Da kann man sich auch einiges zu denken.

2. die Griechen der archaischen Epoche sagten von der Frau, das sie die Erde nachahme und gleichzeitig heißt es, Hysterie sei eine Folge von zu wenig Sex auf seiten der Frau und wer sich über diese antiken Äußerungen aufregt kann ja mal einfach zuhören, wenn manche über andere Frauen v.a. reden, die offenbar häufiger mal launisch sind.

(1) nicht dämonisch: in der Antike gab es keine Dämonen wie es die Kirche lehrte. Daimonen sind Wesen zwischen Göttern und Menschen, häufig Geister oder Spirits aber auch Boten der Götter, die oft in ihrem Namen auftreten

P.S. das meiste hierbei ist natürlich meine eigene persönliche Interpretation und Assoziation. Das hier gesagte fußt auf keinem Buch, außer der Theogonie, die ich zitiere und anderen Quellen aus denen ich herleite, und die denen entsprechen, die ich verlinkt habe







Keine Kommentare: